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Trümmer

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 Vor uns liegt immer noch mehr, als hinter uns

Seitdem sie von der Spex zur neuen Indie-Hoffnung ernannt wurden, tragen Trümmer eine Last mit sich herum. Es fielen Wörter wie Distelmeyer und Hamburger Schule. Eigentlich möchte sich die Band diesem Referenzrahmen entziehen, dabei passt sie in Sachen Inszenierung und Attitüde nur zu gut in die popintellektuelle Sphäre. Zum Glück steckt hinter der Inszenierung am Ende noch viel mehr, wie man feststellt, wenn man diese Band kennenlernt. Drei Tage Trümmer, Here we go.

Meine gemeinsame Geschichte mit Trümmer beginnt in einer Schwulenbar. Die Pointe? Es gibt keine. Ich war einfach auf der Suche nach günstigem Bier mit ein paar Freunden in einem Laden mit dem schmucken Namen »Bar zum schmutzigen Hobby« gelandet. Das»Hobby« ist so ein Ort, den sucht man eigentlich nur auf, wenn man nicht weiß, wo man sonst noch hin soll, aber auf keinen Fall nachHause wanken möchte. Eintritt zahlt man nicht, rein darf unabhängig der sexuellen Orientierung jeder und schlechte Popmusik läuft auch immer. Eigentlich schrecklich, irgendwie aber auch herrlich unprätentiös dieser Laden. An der Bar treffe ich einen Kumpel, Betätigungsfeld: Musikindustrie. Er erzählt, er habe gerade eine Band namens Trümmer live gesehen und auch den Manager der Band, er wird mir als Henning vorgestellt, im Schlepptau. Diesen Namen hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits gelesen, in der Spex eben, aber ich hatte noch nie ein Stück Musik gehört, schließlich verweigerte sich die Band zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich dem Netz – was man als konstant Informations-Überforderter natürlich prinzipiell spitze findet.

Knappe sechs Tage später. In meinem Postfach landet eine Mail. Absender: Henning Mues. Im Anhang befi ndet sich eine, »Euphorie«, betitelte MP3. Das erste Lebenszeichen der Unsichtbaren also. Aufregend. Wenige Sekunden später schrubbeln erst Gitarren los, bevor ein treibender Beat einsetzt. Dann beginnt Paul Pötsch, der Sänger der Band, schlichte Zeilen von spröder Attraktivität zu singen. Zum Beispiel: »Du bist viel zu schön, um jetzt schon nach Hause zu gehen!« Seine Formulierungen tönen nicht unfassbar poetisch oder bildreich, dafür besitzen sie eine andere Qualität: Jene Klarheit, die das Identifikationspotential eröffnen, aus dem guter Pop häufig seine Kraft bezieht. Vier Minuten später ist es vorbei. Der Song klang unfertig. Dennoch trägt zur einen Funken in sich, der unter den richtigen Bedingungen irgendwann mal etwas Folgenschweres entzünden könnte.

Noch mal einige Monate später, an einem Tag im Juli. Ich sitze auf der zweiten Rückbank eines Sprinters von Mercedes-Benz. Ich befinde mich irgendwo in Bayern, auf einer überfüllten Autobahn Richtung Norden. Die Blechlawine rollt langsam. Es ist so heiß, dass die Motoren der Autos selbst das Problem sein könnten. Unser Ziel ist das Melt Festival. Neben mir sitzt Paul Pötsch. Er ist klein, seine Haare sind orangerot, sein Lächeln wirkt kindlich, seine grünen Augen strahlen etwas aus, das auf mich wie Rastlosigkeit wirkt. Man könnte meinen, seine Gedankengänge in ihnen aufblitzen und wieder vergehen zu sehen. Gerade jedoch liest er konzentriert in einer Ausgabe des Musikexpress, die er sich wenige Minuten zuvor an einer Tankstelle gekauft hat, weil die legendären % e Clash auf ihrem Titel zu sehen sind. Nur ab und zu blickt Paul auf, um mir und Max ein Foto zu zeigen (»Wie verdammt gut die aussahen!«) oder von einem seiner Lieblingssongs der Band zu erzählen. Max, das ist Maximilian Fenski, er sitzt bei Trümmer hinter den Drums. Im Gegensatz zum meist ruhelos erscheinenden Paul wirkt der groß gewachsene Max wieder Ruhepol der Band. Im Bus übt er entweder mit dem Laptop auf dem Schoß und den Sticks in der Hand für den Auftritt oder spielt an seinem Rechner, um etwas Ruhe zu fi nden. Tammo Kasper, der schlanke, blonde Band-Bassist mit der vornehm blassen Haut, versucht uns während dessen trotz der Hitze möglichst schnell nach Ferropolis, Heimat des Melt Festivals, zu bringen. Langsam kommen wir dem Ende des Staus näher und Helge, der mit gekommen ist, um für einen guten Sound zu sorgen, zeigt uns neue Demos der Band Zucker, jenes Duos, das in besagtem Spex-Artikel von letztem Jahr im selben Atemzug mit Trümmer genannt wurde.

Die musikalische Schnittmenge zwischen den beiden Bands ist gar nicht so groß, aber Zucker sind, nicht nur, weil sie das selbe Managment haben, Teil des engen Umfelds der Band. Eigentlich mag Hamburg als subkulturell ausgebrannt gelten, dieser Freundeskreis beweist das Gegenteil. Gemeinsam mit Mitgliedern der Gruppe Messer und weiteren Freunden aus ihrem Hamburg Umfeld veranstalten sie im altehrwürdigen Pudel Club eine Party- Reihe namens »Euphorie« – so heißt übrigens auch das Indie-Label, das Henning und Tammo nebenbei noch führen. Auf ihm erschienen unlängst eine EP der Hamburger Band Der Ringer, sowie eine Split-7-Inch der jungen, süddeutschen Kritiker-Lieblinge Die Nerven und Candelilla. Eben genannte Bands teilen tatsächlich mehr als die Tatsache, dass sie »jung und unverbraucht« klingen. Untereinander vernetzt sind sie alle, häufig auch freundschaftlich verbunden und über Musik, Gott und den Rest der Welt diskutiert man untereinander ebenfalls. Die musikalischen und inhaltlichen Strategien von Bands wie Trümmer, Die Nerven und Candelilla mögen sich sehr voneinander unterscheiden, aber man teilt eben einen gewissen DIY-Ethos und grundsätzliche Ideale. Trotz der Angst, die man vor solchen Wörtern hat, könnte man von einer Szene sprechen. Diese hat allerdings noch nicht abschließend entschieden, ob ihr die Existenz im Kleinen genügt, oder ob sie auf lange Sicht doch die Gesamtgesellschaftliche Relevanz sucht. Verdient hätten diese Bands die Aufmerksamkeit allemal. Zurück in den Sprinter. Mittlerweile sind es nur noch knapp 200 Kilometer zu fahren und auch im Gespräch sind wir bereits ganz woanders. Unter anderem notiere ich mir folgenden Satz inmein Notizbuch, den ich heute leider keiner Person mehr zuordne kann: »Trümmer – Die Band, die sich weit aus dem Fenster lehnt. Bis zu den Zehenspitzen!« Dann sprechen wir über Musik. Max sagt: »Techno hat dein Leben verändert? Mein Beileid. Ich will nicht das Genre diskreditieren, es gibt in diesem Bereich ja viele sehr gute Musiker. Aber wenn Techno und der dazu gehörende Lifestyle alles sind, was dir in deinem Leben wichtig ist, dann ist das schon ein wenig armselig.« Trümmer möchten mehr als tanzen. Diskussionen über Haltung, Wünsche und Standpunkte sind ein essentieller Bestandteil dieser Band. »Aber das ist auf Dauer auch anstrengend,« sagt Paul und Max fügt hinzu: »Natürlich können wir uns nicht den ganzen Tag lang so ernst nehmen. Manchmal blödeln wir auch einfach stundenlang herum.«

Es wird viel geredet in unserem Bus. Die Gespräche pendeln dabei ständig zwischen Albernheit und Ernsthaftigkeit hin und her. Mal sprechen Trümmer über die irgendwann im Herbst anstehende Produktion ihres Debütalbums, oder über Leidenschaft, Kunst und ihre Produktion. Dann wiederum diskutieren sie die Frage, welche Sprüche mögliche Trümmer-Actionfiguren können müssten. Henning dazu: »Pauls Figur müsste auf jeden Fall rufen:» Wir stehen kurz vor der Revolution!.«

Wenig später kommen wir am Eingang der Stadt aus Eisen an. Unser Sprinter rollt durch das Tor und dann vorbei an immer mehr Menschen, die in Richtung Gelände wandern. In der Ferne sehen wir die riesigen Tagebaubagger, die diesem Ort seinen Namen gegeben haben. Obwohl die am Tag ein wenig bedrohlich wirken, bricht die Band nicht in Nervosität aus, was vielleicht auch daran liegt, dass sie am mittlerweile dritten Tag unserer Festival-Reise einigermaßen abgekämpft wirkt. Nachdem die Bändchen und die Essensmarken eingesammelt sind und die Band ihre Instrumente ausgeladen hat, gehen die Lichter im Intro-Zelt des Melt Festivals an. Trümmer betreten heute als erster Act diese Bühne. Die Rahmenbedingungen sind eigentlich mies. Die Festivalbesucher sind mittlerweile seit zwei bis drei Tagen vor Ort und verkatert. Außerdem brennt die Sonne auf das Zelt. Dementsprechend leer istdas Gelände aktuell noch. Ohnehin hat Musik, wie Trümmer sie machen (ohne Synthesizer und stampfende Beats), auf dem Melt einen schweren Stand. Es überrascht kaum, dass sich nur knapp 150 Menschen versammelt haben, als Trümmer auf die Bühne treten. Trotzdem spielen Paul, Tammo und Max hier den besten Auftritt des ganzen Wochenendes. Im Vergleich zum Auftritt vom Freitag hat sich Einiges geändert. Als Paul das Publikum begrüßt, wirkt er gerade zu überschwänglich. Zwei Tage zuvor hatten Trümmer auch dem Deichbrand, einer riesigen Rock-Veranstaltung bei Cuxhaven, gespielt. Ein Festival, bei dem gefühlt jeder auftreten darf, der eine Gitarre halten kann. Zwischen den Sportfreunden Stiller, In Flames und den Toten Hosen wirkten Trümmer etwas fehl am Platze. Die Mischpult-Männer versuchten das Publikum mit Ballermann-Schlager bei Laune zu halten, das Gelände war ein hässlicher, brauner Acker und zig Jauche-Trecker fuhren hinter den Bühnen hin und her, um die 50 000 Gäste vor dem Ersticken in Exkrementen zu bewahren. Es war Tristesse Royale und eine ungewohnte Situation für die Band, die sie absolvierte, in dem sie eine vornehme Distanz zum Publikum wahrte. Das ist heute anders. Paul fühlt sich auf der Bühne merklich wohler, er interagiert stärker mit den Menschen. Nach dem Song »Schutt & Asche« (der »von dem Tag handelt, an dem die Liebe uns besiegt hat«) fragt er das Publikum, ob sie Wasser brauchen. Das klingt merkwürdig, schließlich sind wir erst seit zwei Tagen unterwegs, doch es wirkt als hätte Paul sich als Performer verändert.

Inspiriert dazu hat ihn möglicherweise ein gewisser Dirk von Lowtzow. Ursprünglich meinte Paul, er wolle sich seinen Zuhörern nicht unnötig anbiedern. Doch auf dem Deichbrand spielten Tocotronic direkt im Anschluss an Trümmer auf der selben Bühne. Und die Tocos waren vielleicht die erste Band, die Paul in seiner Jugend etwas bedeutete. Als seine Familie plante, mit ihm umzuziehen, da protestierte er, in dem er sich in seinem Zimmer verschanzte und den Song »Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben« auf Schleife laufen ließ. »Ich drehte den Song immer lauter auf, bis mein Vater mir irgendwann den Strom abdrehte« hatte mir Paul nur Stunden vorher, auf der Fahrt nach Cuxhaven, mit einem Lächeln im Gesicht erzählt. Der von ihm bis heute sehr geschätzte Dirk von Lowtzow meisterte die schwere Aufgabe Deichbrand, in dem er das Publikum mit großen Gesten und vielen freundlichen Worten auf seine Seite zog. Paul zeigte sich von der Off enheit und Freude, mit der Tocotronic ihrem Publikum begegneten beeindruckt. Am nächsten Tag sagt er, er sei immer noch berührt von gestern und fängt im Bus an »Die letzte Adresse«, einen ruhigen, wehmütigen Song der Band, der bis heute nur als Demo aus den späten Neunzigern vorliegt, zu singen. Wie bereits erwähnt – es wäre ein Leichtes mit dem Auftauchen von Trümmer die Renaissance der Hamburger-Schule auszurufen. Tatsächlich trägt die Band eine Attitüde vor sich her, dich ich als Berliner als irgendwie Hansestadt-typisch identifi ziere. Wenn mich Trümmer bei unserem ersten Treff en im Saal II beinahe komplett in schwarz gekleidet, Kippe rauchend und Pastis trinkend an einem Holztisch, über dem ein Bild des verstorbenen Malers und Songwriters Nils Koppruch hängt, erwarten, dann bestätigt das freilich auch ein Klischee. Trümmer scheinen sich bewusst in diesem Umfeld zu bewegen, vielleicht gibt er ihnen Sicherheit und Orientierung. Dennoch suchen sie off ensichtlich nach eigenen Wegen und Antworten. Die Hamburger Indie-Kreise sind für sie nie nicht Ziel, sondern Ausgangspunkt einer Reise. Auf dem Melt fragt Paul gerade Existentielles: Wo ist die Revolte und was wurde eigentlich aus den Träumen? Er räumt Fehler ein, spricht von richtig und falsch, überhaupt von den ganz grundsätzlichen Dingen. Es geht um das Verloren gehen in der Welt und die Antwort darauf: Die Revolte. Das Schöne an Songs wie diesem ist, dass Pauls weiche Stimme die Schwere der angerissenen Inhalte der Songs angenehm kontrastiert. Es geht um die ganz großen Fragen, ja. Aber vorgetragen werdrn sie erneut mit einer romantischen Jugendlichkeit, die den Hörer nicht lähmt, sondern beflügelt. Zeilen wie »Eine Generation – eine Bombe, die nicht zündet« sind so schlank und klar formuliert, dass sie nicht anders können als Funken zu schlagen. Auf die »Revolte« folgt ein Song, der inmitten des aktuellen Trümmer-Sets vergleichsweise deutlich heraus sticht. Sein Beat drückt etwas stärker, die Gitarren und der Bass fl irren härter. »Der Saboteur« heißt er. Trümmer haben ihn vor ein paar Tagen erst geschrieben und spielen ihn an diesem Wochenende zum ersten Mal. Paul hat ihn seufzend mit den Worten »das nächste Lied handelt von dem Monster, das man in sich trägt« angekündigt und meint damit vielleicht sich selbst.

Am Abend zuvor waren wir in Ingolstadt. Das Festival hieß Taktraum, hübsche, junge Frauen in wallenden Hippie-Kleidern hatten es organisiert und Caipirinhas, sowie Ingwer-Schnäpse kosteten uns keinen Cent. Die Sonne schien den ganzen Tag über, das Catering schmeckte gut, im Backstage stand ein Planschbecken. Als Trümmer am späten Nachmittag auf der Bühne standen, waren zwar noch deutlich zu wenig Menschen auf dem Festival-Gelände, ansonsten begann der Tag jedoch perfekt. Kurz nach dem Auftritt hatten Tammo und ich uns per Shuttle zum Hotel fahren lassen. Die anderen blieben da und fingen an zu trinken. Als wir eine Stunde später wieder auf dem Gelände eintrafen, waren Max und Paul spurlos verschwinden, dabei wollten sie eigentlich nur eben Kippen holen. Trotzdem dachte man sich: Ein alkoholisches Kaltgetränk kann man sich jetzt schon mal gönnen. Dann ging es relativ schnell, zumindest verlor man jegliches Zeitgefühl. Ein Caipi, dann noch einer, das können doch eigentlich nur zehn Minuten gewesen sein? Jedenfalls standen Max und Paul plötzlich wieder vor uns. Sie grinsten. »Wir waren an der Donau und dann Kippen holen, aber der Automat hat gesponnen. Paul hat erst versucht den Schein mit der Hand aus dem Automaten zu ziehen, blieb kurz hängen, aber hat es dann doch geschafft den Schein herauszuholen. Dann hat er ihn gegessen«, erzählte Max. Ich wusste nicht, ob ich das wirklich glauben sollte, lachte aber trotzdem. Wenig später erklärte mir Tammo: »Das ist nicht das erste Mal, Ich habe ihn schon Fünfziger essen sehen.« Eine eher krude Form des Widerstandes gegen die kapitalistische Realität, aber nach drei Drinks und zwei Schnapps fanden wir die natürlich zugleich romantisch und unterhaltsam. Als wir später weiter tranken, begannen wie gewohnt die Erlebnisse der weiteren Stunden zu einem zähen Brei zu verschwimmen. Es wurde viel gegrinst, Menschen umarmten sich, Quatsch wurde gesprochen. Heute noch sehe ich Paul vor mir, wie er im Backstage auf einem Trampolin herum springt und dann das Planschbecken um wirft. Ich sehe eine dubiose Rap-Cypher, zwei angebissene Bananen und viele, leere Schnapps-Gläser. Und irgendwann ein Taxi, das uns zurück zum Hotel brachte. Vor fünf Minuten versprühte Paul noch pure Energie, nun war er ein anderer. Traurigkeit war sein Name. Unscharf bleiben die folgenden Erinnerungen, ich weiß nur noch von Tränen, Steinen, Selbsthass, Freundschaft und, schließlich, meinem Bett. Dann wache ich auf. Eigentlich stehe ich immer noch im Intro-Zelt auf dem Melt Festival. Gerade singt Paul: »Wenn es dunkel wird, dann klopft er an die Tür und ich öffne willenlos und kann gar nichts dafür. Aus dem Nichts steigt er auf und er kennt meinen Namen. Er macht mich zum Publikum meiner eigenen Taten.«

So schön unwirklich und poetisch diese Zeilen im Gewand eines Popsongs klingen, so real war dieser Saboteur noch gestern Nacht. Doch in Momenten wie diesen vergisst man so etwas schnell. Gerade spielen Trümmer »Scheinbar«, einen immer lauter werdenden, direkten Song über das nur trügerische Wohlbefinden unserer Generation. Auf ihn folgt die Ankündigung des letzten Tracks des Abends: »In All Diesen Nächten«, das bislang einzige, im Netz abrufbare Lebenszeichen dieser Band. Der Song war und ist ein Aufruf zum Aufbruch. Zeilen wie »Wir verlassen die gemäßigte Zone, es ist vorbei, niemand darf sich mehr schonen« bringen den inneren Aufruhr, für den Trümmer stehen, auf den Punkt. »In All Diesen Nächten« hat eine Qualität, die man entweder als ungestüm oder, weniger wohlwollend, als naiv bezeichnen könnte. Mit vermessenen Aussagen wie »Wir werden niemals alt, wir bleiben so für immer« kommt man eben nur davon, wenn man noch in seinen Zwanzigern steckt und seine Ideale noch intakt halten konnte. Der Song kann als radikale Absage an die Gegenwart gelesen werden und trägt einen juvenilen Wahrheitserkennungsanspruch (»Unsere Lügen sind wahrer als das, was ihr uns auftischt«) in sich, ist aber auch eine zutiefst romantische Abhängigkeitserklärung an die Suche nach dem Sinn hinter all dem Mist. Die Aufbruchsstimmung ist spürbar, insbesondere in diesem Moment. Es ist kurz vor sechs auf dem Melt Festival, als die letzten Töne des Songs erklingen. Wohin die Reise von Trümmer von diesem Punkt an gehen wird, ist nicht absehbar und ich glaube das ist etwas Gutes. Vor uns, wie auch vor dieser Band, liegt noch immer so viel mehr, als wir bisher hinter uns gebracht haben. Allen Dämonen, allen Widrigkeiten zum Trotz.

Text: Sascha Ehlert

Foto: Laura Brichta

Dieser Artikel ist in unserer ersten Ausgabe erschienen. Diese könnt ihr bei Krasser Stoff bestellen!


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